Wogende Flüssigkeiten ruinieren Teppiche, Hosen und Weltraum-Missionen. Wie verhindern wir die Resonanzkatastrophe in der Tasse?
Manchmal stellen gerade die kleinen Dinge die Wissenschaft vor die größten Herausforderungen. „Jeder weiß, dass wir Flüssigkeiten in kleinen Gefäßen sehr vorsichtig bewegen und tragen müssen, wenn wir nichts verschütten wollen“, schrieb der US-amerikanische Ingenieur H. Norman Abramson vor fast fünfzig Jahren. „Aus Erfahrung wissen wir, dass die freie Oberfläche von Flüssigkeiten die erschreckende Neigung zeigt, schon bei minimalster Bewegung des Behältnisses ziemlich ausgedehnte Ausflüge zu unternehmen.“
Das klingt nicht gerade nach aufregender Raketentechnik. Doch genau darum geht es: Abramsons Worte stammen aus der Einleitung zu einem 464 Seiten langen Bericht, den er 1966 für die Nasa schrieb. Die US-Weltraumbehörde hatte vor, Flüssigtreibstoff für ihre Raketen für die Mondmissionen zu verwenden. Abramsons großes Werk mit dem Titel „Das dynamische Verhalten von Flüssigkeiten in bewegten Behältern – und ihre Anwendung auf die Raumfahrttechnik“ enthielt alles Wissen über ein Phänomen, das im All über Leben und Tod entscheiden kann: das Schwappen.Daran hat sich bis heute nichts geändert. Schwappender Treibstoff war sehr wahrscheinlich die Ursache für den Fehlstart mehrerer Raketen. Und 1998 musste das Rendezvous mit dem erdnahen Asteroiden 433 Eros (Missionsname: Near) abgebrochen werden: Der schwankende Treibstoff brachte den Satelliten zum Schlingern und verhinderte so die nötige Kurskorrektur. Das verzögerte die Mission um ein Jahr. Die Europäische Weltraumbehörde Esa initiierte 2005 eigens ein Projekt, genannt Sloshsat, um die Dynamik von Flüssigkeiten in der Schwerelosigkeit zu untersuchen. Auch die Nasa führt weitere Studien durch.
Komplizierte Rhythmen beim Gehen
Doch zurück zur Erde und uns vertrauteren Problemen. Wie lässt sich nun verhindern, dass heißer Kaffee so bereitwillig über den Rand der Tasse kleckert?
Egal ob Treibstoff oder Kaffee, es wirken immer vor allem zwei Faktoren zusammen. Zum einen die Trägheit. Sie bewirkt, dass die Flüssigkeit einfach nicht mitkommt, wenn der Behälter abrupt beschleunigt wird. So entstehen Wellen. Sie werden durch den zweiten Faktor, die Resonanz, noch verstärkt – und zwar dann, wenn eine von außen einwirkende Schwingung eine ähnliche Frequenz wie die Eigenschwingung der bereits schwappenden Flüssigkeit hat. Es ist derselbe Effekt, der die Saite einer akustischen Gitarre in Schwingung versetzt, wenn ein Ton gleicher Frequenz aus einem nahen Lautsprecher kommt.
Ganz so einfach liegen die Dinge bei der Tasse Kaffee allerdings doch nicht: Die äußere Kraft stammt nicht aus einer einzigen, klar definierten Schwingungsquelle, sondern sie ist das Resultat eines äußerst komplexen biomechanischen Prozesses mit einem simplen Namen: Gehen.
Wenn ein Mensch geht, wirken auf einen in der Hand gehaltenen Gegenstand gleich drei Beschleunigungen ein: nach oben und unten, zur Seite und nach vorn. Wegen dieses komplizierten Schwingungsrhythmus ist heute weit mehr über das Schwappen in einem Raumschifftank bekannt als über das Plätschern in der Kaffeetasse. „Das macht die ganze Sache interessanter, aber die Erklärung des Problems auch schwieriger“, sagt der Mathematiker Rouslan Krechetnikov von der University of California in Santa Barbara.
Der Anblick von Kollegen, die während eines Kongresses im Jahr 2011 mit ihrem Pausenkaffee kämpften, überzeugte ihn und seinen Studenten Hans Mayer davon, dieses Phänomen unbedingt systematisch zu untersuchen. Zurück im Labor, versahen die beiden einen ganz normalen zylindrischen Kaffeebecher mit einem elektronischen Sensor, der das Überlaufen registrierte. Anschließend filmten sie sich selbst, wie sie mit dem gefüllten Becher den – teppichfreien – Korridor vor Krechetnikovs Büro entlangspazierten. „Ich habe keine Ausbildung im Kaffeetassentragen und halte mich deshalb für ein geeignetes Versuchsobjekt“, sagt der Mathematiker.
Die Auswertung der Einzelbilder des Films zeigte zweierlei: Wer zu schnell losgeht, also eine hohe Anfangsbeschleunigung hat, dem schwappt der Kaffee sofort über, die durch die Trägheit verursachten Wellen lassen das dunkle Gebräu über den Tassenrand schießen. Was den routinierten Kaffeetrinker nicht überrascht. Wer nicht gleich wie ein Wiesel losflitzt, bringt die Kaffeeoberfläche nur leicht zum Schwanken. Die Freude hält aber nicht lange an, mit jedem weiteren Schritt lässt der Gehrhythmus das Getränk immer stärker schwingen, das leichte Plätschern schaukelt sich zu immer größeren Wellen hoch – die Resonanz schlägt zu.
Nach sieben Schritten schwappt es über
Und genau hier liegt das Problem. Im Gegensatz zu Gitarrensaiten reagieren Flüssigkeiten auf ein viel breiteres Resonanzspektrum. Sogar relativ große Frequenzunterschiede zwischen der von außen induzierten Schwingung und der Eigenschwingung der Flüssigkeit lösen bereits Resonanzen aus. Krechetnikov und Mayer fanden heraus, dass die Eigenfrequenz von Kaffee in einem typischen Becher – je nach Höhe und Durchmesser – zwischen 2,6 und 4,3 Hertz liegt. Die simultane Vorwärts- und Rückwärtsbewegung des menschlichen Ganges weist eine Schwingungsfrequenz zwischen 1 und 2,5 Hertz auf – das liegt nahe genug beieinander, um Resonanz zu erzeugen und den Kaffee nach spätestens sieben bis zehn Schritten überschwappen zu lassen. Dazu kommt, dass ein natürlicher Gehrhythmus alles andere als regelmäßig ist. Dadurch erhöht sich dessen Schwingungsfrequenz, was wiederum die Resonanz verstärkt.
Das einzige probate Gegenmittel heißt: Konzentration. Kaffeetrinker, die darauf achten, nichts zu verschütten, sind auch nach vielen Schritten noch erfolgreich (Physical Review E, Band 85, Seite 046117).
Immerhin: Für die Erkenntnis erhielten Krechetnikov und Mayer den Ig-Nobelpreis, eine satirische Auszeichnung für skurrile wissenschaftliche Leistungen, deren Vergabe die Redaktion des Magazins Annals of Improbable Research organisiert.
Das allein hilft dem Konferenzbesucher aber herzlich wenig, will er sich doch in der Regel lieber auf seine Gesprächspartner konzentrieren statt auf den Flüssigkeitsspiegel seines Kaffees. Ein höherwandiger und engerer Becher könnte ihm weiterhelfen, weil der Kaffee darin eine höhere Eigenfrequenz hat und die im Vergleich dann deutlich niedrigere Schwingungsfrequenz des Gehenden kaum mehr Resonanz erzeugt. Praktisch für den Transport sind aus diesem Grund auch Becher, die sich nach oben hin verjüngen.
Ein Becher aus Plastik beugt Kleckerei vor
Breite Becher seien noch aus einem weiteren Grund besonders anfällig fürs Kleckern, sagt Andrzej Herczynski, Phys iker am Boston College in Massachusetts. Bringt die Anfangsbeschleunigung oder die Resonanz die Oberfläche einer Flüssigkeit aus der Horizontalen, vergrößert das den Oberflächenradius, so dass die Welle einen höheren Punkt im Becher erreicht und leichter über Bord schwappt. Das erklärt auch, warum es so schwierig ist, einen Teller mit Suppe sicher zum Tisch zu tragen.
Hilfreich sind Becher, die aus nachgiebigem Material gefertigt sind wie etwa Pappe und Weichplastik. Sie absorbieren mehr von der Bewegungsenergie der Welle als starres Material. Wer sich den Transport noch weiter erleichtern will, dem empfiehlt Krechetnikov, Wulste und Furchen als Wellenbrecher an der Innenseite des Gefäßes anzubringen. Sie verursachen Wirbel in der Flüssigkeit und unterbinden dadurch jede Resonanz.
Wellenbrecher im Bierglas
Eine besondere Herausforderung für ihre Träger stellen alkoholische Getränke dar, insbesondere Bier. Ein typisches britisches Pint-Bierglas für einen guten halben Liter Flüssigkeit ist ungefähr 14,5 Zentimeter hoch und hat am oberen Rand 9 Zentimeter Durchmesser. Krechetnikov zufolge beträgt die Resonanzfrequenz 3,2 Hertz – und liegt damit mitten in der Gefahrenzone. Die Ausbuchtung am oberen Rand bei den Gläsern in vielen britischen Pubs wirkt möglicherweise als Wellenbrecher. Aber dazu will Krechetnikov erst nach weiteren Studienergebnissen etwas sagen.Physiker Herczynski empfiehlt dagegen, auf dickflüssigere Getränke wie Eierlikör umzusteigen. „Die Kraft, die Ihr Gehen auf das Getränk ausübt, wird durch den Reibungswiderstand zerstreut“, berichtet er. „Mit Eierlikör gehen Sie auf Nummer sicher.“
Als eleganteste Lösung aber empfiehlt Krechetnikov Hängetabletts, wie sie im Nahen Osten verbreitet sind. Das Tablett ist mit Bändern oder Stangen an einem Ring oder Knauf befestigt. Es wirkt wie ein Pendel mit sehr niedriger Eigenfrequenz und puffert die Schwingungen des Gehens ab. Abramsons Treibstoffproblem wäre damit zwar nicht gelöst, unser Alltag aber etwas einfacher.
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